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Quantz: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen

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und eine Musik zu beurtheilen sey.

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  anzutreffen sind; weil vielmehr der größte Theil von ihnen, durch Unwis-
senheit, Vorurtheile und Affecten, welche einer richtigen Beurtheilung
sehr hinderlich sind, beherrschet wird: so thäte mancher viel besser, wenn
er sein Urtheil bey sich behalten, und mit mehrerer Aufmerksamkeit zu-
hören wollte; wofern er anders noch Gefallen an der Musik hat. Wenn
er mehr, um den Ausführer, da wo es nicht nöthig ist, zu beurtheilen,
als um an der Musik Vergnügen zu haben, zuhöret: so beraubet er sich
freywillig des größten Theiles der Lust, die er sonst davon empfinden
könnte. Wenn er wohl gar, ehe der Musikus sein Stück geendiget hat,
schon bemühet ist, seine falschen Meynungen seinen Nachbarn aufzudrin-
gen, so setzet er nicht nur den Musikus dadurch aus seiner Gelas-
[s]enheit, sondern auch ausser Stand, sein Stück mit guten Herzen zu en-
digen, und seine Fähigkeit, so wie er sonst wohl könnte, zu zeigen.
Denn wer wird wohl so unempfindlich seyn, und gelassen bleiben können,
wenn man hier und da, bey den Zuhörern, misfälliger Minen gewahr
wird? Der unzeitige Beurtheiler aber steht immer in Gefahr, gegen
andere, die nicht seiner Meynung sind, und vielleicht mehr als er verste-
hen, seine Unwissenheit zu verrathen; und hat also von seinem Urtheile
keinen Nutzen zu gewarten. Man kann hieraus schlüßen, wie schwer
es vollends sey, das Amt eines musikalischen Kunstrichters über sich zu
nehmen, und demselben mit Ehren vorzustehen.

8. §.

  Bey der musikalischen Beurtheilung, wenn sie anders der Vernunft
und der Billigkeit gemäß seyn soll, hat man allezeit vornehmlich auf dreyer-
ley Stücke sein Augenmerk zu richten, nämlich: auf das Stück selbst;
auf den Ausführer desselben; und auf die Zuhörer. Eine schöne Compo-
sition kann durch eine schlechte Ausführung verstümmelt werden; eine
schlechte Composition aber benimmt dem Ausführer seinen Vortheil:
folglich muß man erst untersuchen, ob der Ausführer oder die Composi-
tion an der guten oder schlechten Wirkung schuld sey. In Ansehung der
Zuhörer kömmt, so wie in Ansehung des Musikus, sehr vieles auf die ver-
schiedenen Gemüthsbeschaffenheiten derselben an. Mancher liebet das
Prächtige und Lebhafte; mancher das Traurige und Tiefsinnige; man-
cher das Zärtliche und Lustige; so wie einen jeden seine Neigungen lenken.
Mancher besitzt mehrere Erkenntniß, die hingegen einem andern wieder
fehlet. Man ist nicht allemal gleich aufgeräumt, wenn man ein oder
anderes Stück das erstemal höret. Es kann öfters geschehen, daß uns
heute

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