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Quantz: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen

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Das XVIII. Hauptstück. Wie ein Musikus

  Zeit, den französischen Schimmer mit der italiänischen Schmeicheley zu
vermischen, fähig werden, und eine um so viel gefälligere Art zu spielen
erlangen.

66. §.

  Die französische Art zu singen ist so beschaffen, daß dadurch
nicht, wie bey den Italiänern, große Virtuosen können gezogen werden.
Sie erschöpfet das Vermögen der menschlichen Stimme bey Weitem nicht.
Ihre Arien sind mehr redend als singend. Sie erfodern fast mehr Fer-
tigkeit der Zunge, im Sprechen der Wörter, als Geschiklichkeit der
Kehle. Der Zusatz der Manieren wird von dem Componisten vorgeschrie-
ben: folglich haben die Ausführer nicht nöthig die Harmonie zu verstehen.
Die Passagien sind bey ihnen im Singen fast gar nicht üblich: weil sie
vorgeben daß ihre Sprache dieselben nicht erlaube. Die Arien werden
mehrentheils, wegen Mangels der guten Sänger, so gesetzet, daß sie ein
jeder, wer nur will, nachsingen kann: welches zwar solchen Liebhabern
der Musik, die nicht viel davon verstehen, ein Vergnügen machet; den Sän-
gern aber keinen sonderlichen Vorzug giebt. Es bleibt ihren Sängern
nichts besonderes eigen, als die gute Action, welche sie vor andern Völ-
kern voraus haben.

67. §.

  In der Composition verfahren die Franzosen sehr gewissen-
haft. In ihren Kirchenmusiken findet man zwar mehr Bescheidenheit,
aber auch mehr Trockenheit, als in den italiänischen. Sie lieben die na-
türlichen Gänge mehr, als die chromatischen. In der Melodie sind sie treu-
herziger als die Italiäner; denn man kann die Folge der Gedanken fast
immer errathen: an Erfindungen aber sind sie nicht so reich als jene. Sie
sehen mehr auf den Ausdruck der Wörter, als auf einen reizenden oder
schmeichelnden Gesang. So wie die Italiäner die Schönheit der Com-
position, größten Theils, nur in der Hauptstimme anzubringen suchen;
wodurch zwar die Grundstimme dann und wann verabsäumet wird: so
legen hingegen die Franzosen meistentheils mehr Schimmer in die Grund-
stimme, als in die Hauptstimme. Ihr Accompagnement ist mehr sim-
pel, als erhaben. Ihr Recitativ singt zu viel, die Arien hingegen zu
wenig: weswegen man in einer Oper nicht allemal errathen kann, ob
man ein Recitativ oder ein Arioso höre. Wofern auf ein französisches
Recitativ eine zärtliche Arie folget, wird man ganz und gar eingeschlä-
fert, und verliert alle Aufmerksamkeit: da doch der Entzweck einer Oper
erfo-

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