Quantz: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen
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und eine Musik zu beurtheilen sey. |
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großen Modestie, endlich in eine desto größere Frechheit verfallen, und den
ihnen immer noch eigen gewesenen netten und deutlichen Vortrag, in eine bi- zarre und dunkele Art zu spielen verwandeln möchten. Bey einer neuen und fremden Sache, wendet man mehrentheils nicht Zeit genug zur Untersu- chung derselben an; sondern man fällt gemeiniglich von einem äußersten Ende aufs andere: absonderlich wenn es auf die Wahl junger Leute an- kömmt, welche durch alles, was nur neu ist, verblendet werden können. |
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76. §. |
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Wollte man endlich die italiänische und französische Nationalmusik,
wenn man jede von der besten Seite betrachtet, in der Kürze charakte- risiren, und den Unterschied des Geschmackes gegen einander halten; so würde diese Vergleichung, meines Erachtens, ohngefähr also aus- fallen: Die Italiäner sind in der Composition uneingeschränket, prächtig, lebhaft, ausdrückend, tiefsinnig, erhaben in der Denkart, etwas bizarr, frey, verwegen, frech, ausschweifend, im Metrum zu- weilen nachlässig; sie sind aber auch singend, schmeichelnd, zärtlich, rüh- rend, und reich an Erfindung. Sie schreiben mehr für Kenner als für Liebhaber. Die Franzosen sind in der Composition zwar lebhaft, ausdrückend, natürlich, dem Publicum gefällig und begreiflich, und rich- tiger im Metrum als jene; sie sind aber weder tiefsinnig noch kühn; son- dern sehr eingeschränket, sklavisch, sich selbst immer ähnlich, niedrig in der Denkart, trocken an Erfindung; sie wärmen die Gedanken ihrer Vor- fahren immer wieder auf, und schreiben mehr für Liebhaber als für Kenner. Die italiänische Singart ist tiefsinnig, und künstlich; sie rüh- ret, und setzet zugleich in Verwunderung; sie beschäftiget den musikali- schen Verstand; sie ist gefällig, reizend, ausdrückend, reich im Geschma- cke und Vortrage, und versetzet den Zuhörer, auf eine angenehme Art, aus einer Leidenschaft in die andere. Die französische Singart ist mehr simpel als künstlich, mehr sprechend als singend; im Ausdrucke der Leidenschaften, und in der Stimme, mehr übertrieben als natürlich; im Geschmacke und im Vortrage ist sie arm, und sich selbst immer ähn- lich; sie ist mehr für Liebhaber als für Musikverständige; sie schicket sich besser zu Trinkliedern als zu ernsthaften Arien, und belustiget zwar die Sinne, den musikalischen Verstand aber läßt sie ganz müßig. |
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